Es gibt Zeiten, da möchte man alles hinschmeißen: Wenn beim Umzug in die neue Wohnung diese mit einer Überflutung durch einen undichten Heizkörper überrascht, die neue Küchenarbeitsplatte genau in dieser Pfütze steht – wie auch einige Möbel und der größte Teil des Umzugsgutes. Wenn dann noch vor der Tür das Wetter mit Böen, Regen und Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt jede Lust auf Outdoor verleidet und wie gesagt die neue Wohnung zum Trockenraum wurde. Wenn also die Laune auf dem Tiefpunkt angelangt ist, kommt die Einladung eines Kumpels zum 50. Geburtstag mehr als richtig: Geburtstagsparty am Stand von Calafat. Vorher Silvester-Party mit Doktor Scholl. Davor mehrtägiges Renntraining auf der Rennstrecke von Calafat. Ebenfalls unter „ärztlicher Aufsicht“. Und wenn dann auch noch die Einsatzmaschine vollgetankt vor Ort bereit steht – (danke an den Sportfreund aus Kassel, der im letzten Moment absagte!) gibt es doch keine Alternative.
Verkürzte Weihnachten im Kreis der Familie. Die Kombi und den Rest der Ausrüstung noch schnell gefettet und Deutschland verlassen, bevor der Winter einzieht. Mit gewaltiger Vorfreude geht es also über Frankreich in Richtung Mittelmeer. Südfrankreich überrascht mit einem orkanartigen Wind, der auch fast dafür gesorgt hätte, dass die Anreise durch einen verwehten Kühlschrank auf der Autobahn unterbrochen wurde. Der Besitzer stand dann einen Kilometer weiter mit leerem Anhänger auf der rechten Spur. Die Schrecken dieser Nacht gehen noch weiter: 50 Kilometer hinter Barcelona, also 100 vor dem Ziel, zeigt die Temperaturanzeige um Mitternacht lausige Null Grad! Warum bin ich jetzt mehr als 1000 Kilometer gefahren?
Doch der erste Morgen in Calafat entschädigt mit perfektem Sonnenschein und idealen Bedingungen zum Motorradfahren. Jetzt zur Anmeldung, wo Imke schnell die passende Gruppe für einen Winterflüchtigen mit eingerosteten Knochen gefunden hat. Mit Instruktor Fritz und einer bunt gemischten Gruppe geht es dann zum ersten 20 Minuten Turn auf die 3250 Meter lange Strecke.
Die eingesetzte Classic-Blade kann zwar gut mit den moderneren Maschinen mithalten, doch die 22 Kurven des Rundkurses entpuppen sich als schwierig zu lernen. Besonders der Linksknick am Ende der 650 Meter langen Geraden überrascht mich bei jeder Ankunft. Während der heftige Wind schon beim Anbremsen für Schräglage sorgt, verschätze ich mich bei der Anfahrt zur folgenden Links jedes Mal und verschenke dort viele Meter. Doch gemeinsam mit der Gruppe steigere ich mich bei jedem Einsatz und mit jeder Runde wächst die Freude am Rennstreckenfahren. Und wenn ich dann beim Warten auf den nächsten Einsatz an den Wasserschaden und den „Trockenraum“ im neuen Zuhause denke, kommt tiefe Zufriedenheit auf.
Diese verspürt auch der 19 jährigen Rico aus Vaihingen, der mit seiner Kawasaki 600 in viel größeren Schritten Lernerfolge verbuchen kann und schon jetzt von der Weltmeisterschaft träumt. Ansonsten zeichnen sich die Renntrainings von Doktor Scholl („Do it with the Doc“) durch eine sehr familiäre Atmosphäre aus, die auch bei dem Vierstundenrennen an Silvester nicht verdrängt wird. Jeder greift entweder selbst zum Lenker oder fiebert mit den Piloten mit, die man in den letzten Tagen kennengelernt hat. Wer gewonnen hat, oder welche Ausrede für das gezeigte Formtief herhalten muss ist dann abends bei der legendären Fahrerlager-Silvesterparty nur noch Nebensache. „Feiern bis der Arzt kommt“ wäre hier eher das angesagte Motto. Für einige Fußgänger soll es in den frühen Morgenstunden schwierig gewesen sein, auf dem Weg in die Appartement-Anlage den passenden Tunnel zu finden. Den passenden Weg mit einer Enduro in Spanien zu finden kann ebenfalls schwierig sein. Geburtstags-Gast Rio war dann bei seiner Enduro-Tour froh, als ihm Jesus erschien. Der Einheimische mit dem biblischen Namen bewegte wie sein Mitfahrer Xavier etwas antiquierte Enduros, kannte aber scheinbar jeden Stein im unendlichen Endurogelände von Tarragona. „Das war der größte Spaß den ich je auf zwei Rädern hatte“, lobt dann auch Rio seine Enduro-Guides. Und Mitfahrer Hubbie aus Aschaffenburg ist ebenfalls massiv begeistert: „Traumhaft. Verständlich, dass eine Finca mit großer Garage die Basis für einen Traum sein kann!“
Diesen Traum können einige Rennveranstalter, Reiseanbieter oder Fahrzeughersteller an der spanischen Mittelmeerküste gerne umsetzen. Cartagena, Catalunya, Aragon, Valencia, Jerez und Almeria sind dabei nur die bekanntesten, die sich alle durch ein sehr motorradfreundliches Hinterland hervortun. Eine Sonderstellung genießt dabei eindeutig Almeria, wo es in den letzten Jahren gelungen ist, ein wahres Motorradparadies entstehen zu lassen. Zahlreiche Hersteller nützen dabei nicht nur die Rennstrecke für perfekte Winterfluchten.
Was wäre es schön mit dem Motorrad weitere Regionen zu erkunden, doch zu Hause warten ja noch einige Umzugskartons und der Trockenraum. Aber nächsten Winter…