IVM Performance Januar 2015

Wie man im Winter die Kurve(n) kriegt

Das höchste Dorf Spaniens liegt näher bei Marrakesch, als bei Madrid und heißt Vilaflores de Teneriffa, sehr frei übersetzt: Vom höchsten Glück im Winter Motorrad zu fahren. Wer das doppelte Glück hat, von Willi van Bebber, dem örtlichen Chef von Teneriffa-on-Bike in kleiner Gruppe von Adeje im Süden der Insel via Grenadilla auf die Hochebene des Teide geführt zu werden, kapiert frühestens bei der ersten Pause auf der Terrasse dieser einfachen Bar mit ihrem rotem Plastikgestühl gleich am Orteingang von Vilaflores, dass die morgendliche 60-Kilometer-Kurvenorgie bei 20 Grad im Dezember Wirklichkeit ist.

Winterfluchten

Kurvenkönig

Der knurrige Wirt bringt süß-herben Leche Leche an unseren Tisch direkt neben der Dorfeingangskurve, ein dreistöckiger Corta mit zwei Sorten Milch und bärenstarkem Espresso im 0,1-er Glas. Willi kramt grinsend die Karte raus und serviert das nächste perfekte Serpentinen-Paket, das uns direkt auf die zweieinhalb tausend Meter hoch gelegen Ebene rund um den Teide bringt, dessen imposante 3.700 Meter ihn als höchsten Berg Spaniens krönen. Trotz feinster Straßenbaukunst mit vermutlich handgerührter Asphaltmischung ist die Motorraddichte überraschend gering. Teneriffa liegt im Atlantik gut 250 Kilometer vor der Westsahara und die Anfahrt mit dem eigenen Motorrad ist wahrlich kein Pappenstiel – allein die Fährverbindung  Huelva – Santa Cruz verschlingt 30 Stunden, für sieben Tage Motorradvergnügen im ewigen Frühling kaum realisierbar. Und Motorradvermieter sind immer noch rar gesät. Mit unserer Mietbasis in Adeje, gerade einmal 20 Kilometer vom Aeropuerto Reina Sofia (Süd) entfernt, haben wir einen 4-Sterne-Griff getan, neuwertige Maschinen, bestens gepflegt, der Chef ein Motorradenthusiast, der seit 20 Jahren auf der Insel verwurzelt ist und kleine Gruppen gegen ein mehr als faires Entgelt die zahlreichen Paradiese der Insel erfahren lässt – nicht zuletzt auch in gastronomischer Hinsicht.

Mehr Kurven als Autos

Erfreulicherweise sind die vielen tausend Mietwagen mit den oftmals heillos überforderten Touristen am Steuer kein Problem, denn sie bevorzugen die Autobahnen TF-5 im Norden und TF-1 im Süden, die in direkter Anbindung zu einigen Landstraßenabschnitten die etwa 80 km lange und 50 km breite Insel erschließen.  Die alten Inselstraßen dagegen, die sich hoch über dem Atlantik vorbei an Felsflanken, über Schluchten und Wasserläufe hinweg von einem Dorf zum nächsten schlängeln, werden von PKW, LKW und Bussen gemieden und sind nahezu verkehrsfrei und der Geheimtipp für einen Urlaub im Kurvenrausch. 

Über den Wolken

Als wir die Hochebene des Teide über den Pass am Obervatorio del Teide auf 2.700 Meter verlassen, fasziniert uns die dichte Wolkendecke – denn sie liegt rund eintausend Meter unter uns. Eine weite, gleißend weiße Wolkenlandschaft mit dem einzigartigen Naturschauspiel der „Wolkenwasserfälle“ rahmt das schwarze Pistenband ein, das auf einem schmalen Grad zwischen West- und Ostküste  abwärts führt. Einige 270-Grad-Kurvenkarussels gingen auch als Kunstausstellung in Sachen Straßenbau durch. Aber es bleibt eine Talstraße und wir müssen durch die Wolkenschicht. Zunächst Nebel und etwas tiefer dann feiner Sprühregen fordern unsere sommerlichen Fahrerausstattungen - doch ein paar hundert Höhenmeter weiter ist es trocken, sonnig und warm.

Download auf Gomera

Es ist früh am Morgen, wir sind die Ersten auf dem Fred. Olsen-Express im Fährhafen Los Christianos und nach einer Stunde in moderater Atlantikwelle bereits auf La Gomera, der Nachbarinsel. Die Tanks wollen Sprit, unsere Mägen Frühstück. Doch die furiose Passstraße hoch auf diesen Berg der eine Insel ist, lässt uns beides vergessen, bis wir mit den letzten Tropfen an der spektakulär gelegenen Bar DeGollada ankommen und es uns gut gehen lassen. Nur Sprit gibt’s hier nicht, aber, no problemo seniores, in Santiago kaum 20 Kilometer weiter, gäbe es eine Tankstelle. Für eins der Bikes sind das ungefähr 19,8 Kilometer zu viel, aber die 200 Meter Differenz reichen ziemlich genau, um bis zum Abknick nach Santiago de la Gomera zu kommen. Und dann geht’s bergab. 20 Kilometer. Null Sprit. Null Motor. Null Verkehr. Download sozusagen. Ab und zu den Motor im dritten oder vierten Gang sanft bremsen lassen und vor der einen oder anderen Spitzkehre mal etwas vehementer eingegriffen. Selbst im Städtchen geht’s beständig abwärts bis an die Zapfsäulen einer liebevoll restaurierten 50-er Jahre Tankstelle. Danach belohnen wir uns mit der Krönung des europäischen Straßenbaus, denn Geraden sind hier die denkbar kürzesten Verbindungen zwischen genialen Kurven, ausgeführt im verlässlichen Auf und Ab und allen nur denk- und undenkbaren Radien. Gefühlt unendliche  Kurven, die in 360 Grad-und-mehr-Ausführung Bergkuppen umzirkeln, von denen es hier Dutzende gibt. Jeder eingerichtete Aussichtspunkt ist einen Stopp wert – aber alle 50 Meter? Auch Kreislauf- und Gleichgewichtszentrale im Körper sind dankbar für jede Pause, denn knackige Höhenunterschiede und rasante Schräglagenwechsel fordern ihren Tribut.

Zurück auf Teneriffa geht es da etwas gesetzter zu. Zehn, zwölf knackige Kurven in Serie, dann aber mal wieder 300 Meter einfach geradeaus zum Durchschnaufen und für die Abende Dutzende kleiner, feiner, schicker Bars und Restaurants zum draußen sitzen, Strand bummeln und grandiose Tage Revue passieren lassen: Der Traum der gepflegten und fordernder Schräglage heißt Gomera, das Paradies zwischen Cruise- und Sportmodus und vor allem für die Zeit auch nach dem frühen Sonnenuntergang ist Teneriffa.