Ganz klar: jede europäische Richtlinie, die in Kraft tritt, muss nach Jahren überarbeitet und an neue Erkenntnisse und Gegebenheiten angepasst werden. So geschieht es aktuell auch mit der Führerscheinrichtlinie, die gerade für eine 4. Auflage modifiziert wird. Doch die Vorschläge, die die französische EU-Parlamentsabgeordnete Karima Delli (Grüne) in das Verfahren eingebracht hat, verheißen nicht nur für den Motorrad-Sektor umfassende Änderungen, die die individuelle Mobilität erheblich einschränken könnten und stehen zum Teil im Gegensatz zu den Plänen der EU-Kommission.
Dass die individuelle Mobilität nicht erst seit der Corona-Pandemie für die Bürger und Bürgerinnen der EU von immenser Wichtigkeit ist, ist für jeden ersichtlich. Sie stellt für viele Menschen einen persönlichen Rückzugsort dar und bietet gleichzeitig ein hohes Maß an Flexibilität, die sowohl im beruflichen als auch im privaten Umfeld besonders auf dem Land unabdingbar ist. Das Dokument enthält jedoch Vorschläge, die nicht nur Motorradfahrern und Motorradfahrerinnen den Weg zum Führerschein und damit das Leben erschweren würden und nicht nur beim IVM auf Unverständnis stoßen.
An dieser Stelle soll nur ein Element des kompletten Bündels von potenziellen Restriktionen näher betrachtet werden, wird an diesem Beispiel doch deutlich, wie wenig praxisbezogen und umsetzbar viele Vorschläge sind.
Gemäß den Vorschlägen der Abgeordneten Delli in ihrem Papier sollen maximale Höchstgeschwindigkeiten bei der Definition der Fahrerlaubnisklassen für motorisierte Zweiräder ergänzt werden:
A1: maximal 90 km/h
A2: maximal 100 km/h
A: maximal 110 km/h
Konkret würde dies bedeuten, dass Inhaber des Führerscheins A1 mit ihren Leichtkrafträdern eine Höchstgeschwindigkeit unterhalb der deutschen Landstraßenlimits einhalten müssten und gleichzeitig auf Schnellstraßen und Autobahnen de facto nicht mitschwimmen könnten.
Letzteres gilt im erheblichen Maße auch für die vorgeschlagene Regelung des Führerscheins A2 mit Fahrzeugen, die dann mit maximal 100 km/h von Neuführerscheininhabern bewegt werden dürften. Und auch für die offene Motorradklasse mit einem Limit von 110 km/h ist dieser Vorschlag sicher mehr als praxisfremd!
Dennoch sind Tempolimits, die zum Teil ausschließlich für Motorräder und Roller gelten sollen, Elemente des Dokuments, das Karima Delli bereits vor der Sommerpause in den zuständigen Ausschuss TRAN für Verkehr und Tourismus des europäischen Parlamentes eingebracht hat.
Aufgabe des TRAN-Ausschusses ist es nun, eine Meinung zu diesem Dokument zu verfassen, die anschließend dem Gesamtplenum des Europäischen Parlaments vorgelegt wird. Dieses fasst, in Abstimmung mit den EU-Mitgliedsstaaten und der EU-Kommission, einen endgültigen Beschluss zur Führerscheinrichtlinie. Die Fahrerlaubnis unterliegt dabei dem sogenannten „co-decision procedure“. Eine endgültige Entscheidung zur Führerscheinrichtlinie kann das Europäische Parlament also nur gemeinsam mit den EU-Mitgliedsstaaten treffen. Und hier stoßen die geplanten Änderungen zumindest bei vielen deutschen Politikern auf Ablehnung.