IVM Performance Juni 2015

Die lange Tour zum Herrn der Berge

Am 13. Mai startete der „Bundestag“ zur anspruchsvollen Rundtour Deutschland – Polen – Tschechien - Deutschland unter der Schirmherrschaft des Parlamentarischen Staatssekretärs beim Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, Norbert Barthle. Unter dem Motto „Auf den Spuren Rübezahls“ gingen 200 Motorräder vor dem Reichstag auf die 1.500 Kilometer lange 16. Freundschaftsfahrt der Gruppe Motorsport der Sportgemeinschaft Deutscher Bundestag. Die Einnahmen aus der Vermietung von Tour-Motorrädern der IVM-Unternehmen werden traditionell einem karitativen Zweck gespendet – die Wahl fiel auf die www.kleinehilfsaktion.de des ehemaligen Motorradrennfahrers Roland Debschütz.

Motorraeder vor Reichstag

Um 9.00 Uhr ging es los. 18 Gruppen mit bis zu 10 Maschinen ließen das Brandenburger Tor links liegen und wühlten sich fast eine Stunde durch den Berliner Vor-Feiertagsverkehr. Erst mit dem Erreichen des Autobahnzubringers A 96 kam endlich Fahrtwind unter die Helme und die freundlichen Wölkchen am Brandenburger Himmel versprachen bestes Reisewetter.

Ein unspektakulärer Satz über die Autobahnen 117, 113 und 13 beamte die Gruppe nach Ruhland. Von dort ging es über manch ruppige Landstraße, die das hohe Enduro-Potenzial dieser Reise bereits andeuteten, via Königsbrück nach Radeberg. Dass dort die erste deutsche Brauerei beheimatet ist, die Bier ausschließlich nach Pilsener Brauart braute – mag manchem Mitfahrer eine Verlockung gewesen sein, aber nicht der Grund für den Besuch: Die FSD Fahrzeug-Systemdaten GmbH hatte in ihr Prüflabor in Radeberg geladen. Das sächsische Unternehmen, das alle technischen Fahrzeug-Überwachungsinstitutionen wie TÜV, Dekra, Küs, FSP u.v.a. zu seinen Gesellschaftern zählt und u.a. deren Prüf-Standards festlegt, bot einen Einblick in seine laborähnliche Werkstatt, präsentierte E-Mobility vom Segway und eBikes über BMW i3 bis hin zum extrem seltenen VW XL1, den die meisten von uns nur aus einem Werbespot mit Leonard „Beam me up Scotty“ Nimoy kannten  und – last but not least - den besten sächsischen Grill-Burger.    
     
Weiter ging es dann über Bischofs-Werda, Löbau, die Weltkulturerbe-Stadt Görlitz blieb unbeachtet, über Frydlant, Hejnice und Harrachov in das sehenswerte Gebirgsstädtchen Karpacz, wo die rund 200 Teilnehmer der Tour für drei Tage in einem Großhotel untergebracht waren.  

Von Karpacz aus erkundeten die Bundesbiker das Reich Rübezahls. Die in tschechisch Krakonoš und polnisch Liczyrzepa genannte Sagengestalt, die Rüben in jede Art von Lebewesen und umgekehrt verwandeln konnte, ist der Berggeist des Riesengebirges. Um ihn - den Herrn der Berge - ranken sich zahlreiche Sagen und Märchen.  Hier im Riesengebirge hat praktisch jedes Dorf und jeder Wald seine eigene Rübezahl-Geschichte zu erzählen. Und eins ist sicher: Rübezahl mag Biker, denn uns hat er weder erschreckt noch in Rüben verwandelt, obwohl er dieses Kabinettstückchen häufig bei Pferden angewandt hat, wenn ihre Reiter fliehen wollten.

Gleich nebenan, im Eulengebirge, hat eine sehr reale Schreckensgestalt der Geschichte ihre Spuren hinterlassen, denn am Freitag besuchen wir Podziemme Miasto Osówka, das Projekt Riese. Die Nationalsozialisten unter Führung von Albert Speer planten ein tief in den Berg gegrabenes weiteres „Führerhauptquartier“ als Ersatz für Hitlers “Wolfsschanze” in Ostpreußen, die immer näher an der sich aufs Reich zubewegenden Ostfront lag. Bis August 1945 sollte so eine gigantische, bombensichere, unterirdische Großanlage entstehen – eigens für die Bauarbeiten wurden Außenlager des nahe gelegenen Konzentrationslagers Groß-Rosen gegründet und bis zu 20.000 Häftlinge eingesetzt, mindestens 5.000 Häftlinge wurden ermordet.

"Riese" wurde nie fertiggestellt – doch die Stollen blieben und viele Mitfahrer haben sie besichtigt. Als zentraler und repräsentativer Ort dieses geplanten Führerhauptquartiers war Schloss Fürstenstein vorgesehen, das größte Schloss Schlesiens, das wir auf der Samstagstour besichtigen konnten. Albert Speer plante in und um die  Anlage herum ein unterirdisches 3. Reich.

Als nahezu unterirdisch erwiesen sich auch einige heftige Schlaglochpisten auf dem Weg nach Wroclaw – das frühere Breslau. Krater mit einem Meter Durchmesser und 20 – 30 Zentimeter Tiefe waren keine Seltenheit. Dies uralten Pisten verbinden abgelegene Bauernschaften und Dörfer in durchweg großartiger Landschaft und dienten uns als Abkürzungen zwischen gut ausgebauten Bundes- und Landstraßen.

Die Ankunft am zentral gelegenen Hotel in Wroclaw begann mit einer Überraschung. Die Motorräder wurden im Hotel geparkt und zwar im Wortsinn: Kongressraum 1 war leergeräumt und die Bikes wurden durch die Lobby hinein geschoben. Das ehemalige Breslau (schlesisch Brassel) ist heute eine moderne Großstadt mit über 630.000 Einwohnern, riesigen Einkaufscentern, Shopping-Malls und einer wunderschönen, sehr lebendigen Altstadt mit unzähligen Restaurants, Kneipen und Cafés, in denen sich die anspruchsvolle Tour hervorragend beschließen ließ.

Während der Großteil der Gruppe am Sonntag die Reise zurück nach Berlin antrat, ging es für uns auf den vermeintlich „schnellen“ Ritt Richtung Ruhrgebiet. 819 Kilometer, da waren unsere Navis sich einig und rund 6 Stunden Autobahn - es wurden dann mehr als elf Stunden, denn mehr als 40 Kilometer Stau verlangsamten die Heimfahrt doch ganz erheblich.

Nachruf

Drei Tage nach Beendigung der 16. Freundschaftsfahrt, am 20. Mai,  erfuhren wir vom tragischen Tod des Motorrad- und Reisejournalisten Frank Klose, Verfasser von vielen Reise- und Tourenbüchern, Herausgeber und Chefredakteur des Motorradreisemagazins Motorrad & Reisen. Frank begleitete auch diese Tour und wir alle winkten ihm immer wieder gerne zu, wenn er an besonders fotogenen Passagen mit der Kamera im Anschlag auf die besten Motive wartete. Frank Klose starb im Alter von 56 Jahren an den Folgen eines Herzinfarkts.